Qualitätskennzahlen verstehen: Deine effektiven Werkzeuge, nicht dein Endgegner

Qualitätskennzahlen sind für viele Einsteiger:innen im QM das, was Mathearbeiten früher in der Schule waren: Zahlenkolonnen, Prozentzeichen, Brüche – und ein flaues Gefühl im Bauch. Aber keine Sorge: Wir gehen das hier so an, dass du Zahlen nicht mehr fürchtest, sondern für dich arbeiten lässt.

Denn Fakt ist: Ohne Zahlen fliegst du blind. Mit Zahlen erkennst du, ob dein Prozess läuft oder ob du gerade eine schleichende Katastrophe übersehen würdest. Aber: Zahlen sind nicht das Ziel – sie sind das Werkzeug. Du musst sie lesen, verstehen und in den richtigen Kontext packen.

📌 Info-Box: Was ist eigentlich „Qualität“?

Definition: Qualität

Qualität bedeutet nach ISO 9000: „Der Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt.“

Übersetzt: Qualität ist kein absoluter Wert. Es geht darum, wie gut etwas die Erwartungen erfüllt.

Ein 50-Cent-Kuli muss schreiben, fertig. Ein Montblanc für 200 € muss nicht nur schreiben, sondern auch nach zehn Jahren noch stilvoll aussehen.

Warum du ohne Kennzahlen aufgeschmissen bist

Stell dir Qualitätsmanagement ohne Kennzahlen vor:
Du läufst blind durch den Wald, stolperst über Wurzeln (Reklamationen), trittst in Pfützen (Nacharbeit) und wunderst dich, warum alle genervt sind.

Kennzahlen sind dein Navi.

  • Sie zeigen dir, wo du stehst.
  • Sie machen Abweichungen sichtbar, bevor es knallt.
  • Sie liefern Argumente, mit denen du vor Chefetage und Kunden bestehen kannst – weil Zahlen schwerer zu diskutieren sind als Meinungen.

👉 Kurz: Zahlen sind dein Fundament. Ohne sie fehlt dir die Basis.
Dein Bauchgefühl hat trotzdem seinen Platz – es ist wie ein Frühwarnsystem. Es sagt dir: „Da stimmt was nicht, guck da nochmal genauer hin.“ Aber: erst die Zahlen schaffen Klarheit, deine Erfahrung entscheidet, wann du dem Bauchgefühl zusätzlich vertrauen darfst.

Wer macht den ganzen Kennzahlen-Kram?

Hier ein Mythos zum Vergessen: „Das macht das QM schon.“

Nope. Kennzahlen sind Mannschaftssport.

  • Produktion & Co.: liefern dir die Rohdaten (wie viele Teile produziert, wie viel Ausschuss).
  • Führungskräfte: müssen auf Basis deiner Zahlen Entscheidungen treffen.
  • Mitarbeiter:innen: erfassen Fehler, melden Abweichungen – ohne sie: keine Daten, keine Kennzahlen.

👉 Denk immer dran: Du bist die Schaltzentrale – aber ohne Strom aus den Abteilungen läuft da nix.


Die W-Fragen: Dein QM-Kompass

Wenn du im QM Zahlen erhebst, frag dich immer: Wer? Wie? Was? Wann? Wie viel? Warum?
Ohne diese Fragen sind Kennzahlen nur leere Hüllen.

QM-Kompass by Varika & ChatGPT

Wer?

  • Wer erhebt die Kennzahl? Produktion, QS, externe Prüfer?
  • Wer nutzt die Kennzahl? Management, Auditor:innen, Kunden?

👉 Tipp: Dokumentiere, wer welche Zahl erhebt. Sonst wunderst du dich später, warum deine Statistik nicht mehr stimmt.

Wie?

  • Wie wird die Zahl erfasst – manuell, automatisch, Stichprobe, Vollprüfung?
  • Wie wird gerechnet – nach ISO-Formel, nach Kunden-Definition, nach internen Regeln?

👉 Hier trennt sich Praxis von Theorie: Ein sauberer Erfassungsprozess ist die halbe Miete.

Was?

  • Was genau misst du? Ausschuss, Reklamationen, Durchlaufzeit?
  • Was ist dein Ziel – Kundenzufriedenheit, Kostenreduktion, Prozessstabilität?

👉 „Wir messen mal irgendwas“ bringt nichts. Jede Kennzahl muss ein Ziel haben.

Wann?

  • Wann erhebst du – pro Schicht, täglich, wöchentlich, monatlich?
  • Wann wird ausgewertet – live oder nur fürs Audit?

👉 Faustregel: Je kritischer der Prozess, desto enger der Takt.

Wieviel?

  • Wieviel ist akzeptabel? (Kundenanforderung, interner Standard, Benchmark)
  • Wieviel Abweichung ist tolerierbar?

👉 1 % Ausschuss in der Bäckerei? Okay. 1 % Ausschuss in der Luftfahrt? Horror.

Warum?

  • Warum erhebst du diese Kennzahl?
  • Warum ist sie wichtig für dein Unternehmen?

👉 Die Antwort darf nie „weil der Auditor es will“ sein. Kennzahlen müssen Mehrwert bringen.


Wieviel ist zu viel?

Eine Zahl ohne Kontext ist wie ein Satz ohne Verb – nett gemeint, aber nutzlos.

  • Branche: In Automotive sind ppm-Werte Standard – ein Fehler pro 10.000 Teile ist schon kritisch. In der Medizintechnik ist die Toleranz noch enger.
  • Kunde: Manche Kunden akzeptieren kleine Schwankungen, andere fahren knallhart die Null-Fehler-Schiene.
  • Unternehmen: 3 % Nacharbeit sind für eine kleine Manufaktur vielleicht okay. In der Serienfertigung werden daraus schnell Millionenverluste.
  • Zeit: Ein einmaliger Ausreißer ist halb so wild. Ein Trend nach oben dagegen ist Alarmstufe Rot.

Kurz gesagt: „Zu viel“ hängt vom Kontext ab. Deine Aufgabe im QM ist es, die Zahl nicht nur zu berechnen, sondern auch einzuordnen – in Vergleich zu Vorgaben, Benchmarks und der eigenen Historie. Nur so wird aus einer Zahl eine Entscheidungshilfe.

Deine Aufgabe: Die Zahl einordnen. Nicht nur hinschreiben, sondern erklären (können).


Wie du Kennzahlen clever berechnest

Im QM gibt’s drei große Spielwiesen:

Prozesskennzahlen

Produktkennzahlen

Kostenkennzahlen


Übersicht: Die Kennzahlen nach Kategorien

KennzahlFormel / BeschreibungAussage
First Pass Yield (FPY)Gutteile ÷ GesamtteileWie oft klappt’s gleich beim 1. Mal?
DurchlaufzeitZeit von Start bis EndeGeschwindigkeit des Prozesses
Prozessfähigkeit (Cpk, Ppk)StatistikPasst der Prozess stabil in die Toleranzen?
NacharbeitsquoteNacharbeit ÷ ProduktionWieviel Flickschusterei?
AusschussquoteAusschuss ÷ ProduktionWieviel landet direkt in der Tonne?
OTDpünktliche Lieferungen ÷ GesamtTermintreue

📦 Produktkennzahlen

KennzahlFormel / BeschreibungAussage
AusfallrateAusfälle ÷ Ausgelieferte ProdukteWie zuverlässig im Feld?
ReklamationsquoteReklamationen ÷ LieferungenWie happy sind die Kunden?
ppmFehler ÷ Gesamtteile × 1.000.000Standardisierte Fehlerhäufigkeit
GarantiequoteGarantie-Fälle ÷ GesamtWie teuer die Rückläufer?
Lieferantenqualität (qppm)Fehlerhafte Lieferungen ÷ GesamtWie gut liefern die Zulieferer?
MTBFØ Betriebszeit ÷ AusfälleLebensdauer von Geräten

💸 Kostenkennzahlen

KennzahlFormel / BeschreibungAussage
FehlerkostenquoteFehlerkosten ÷ UmsatzWie teuer ist der Mist?
Cost of Poor Quality (CoPQ)Summe aller FehlerkostenGesamtschaden durch schlechte Qualität
Nacharbeitskostendirekte KostenGeld fürs „Hinterher flicken!“
AusschusskostenWert der SchrottteileMaterial + Zeit futsch
Garantie- & KulanzkostenKosten für KundenleistungenWas du für Fehler im Markt blechst
PrüfkostenAufwand fürs MessenGeld fürs „Verhindern“ von Fehlern

Drei Klassiker zum Rechnen – ohne Panik

First Pass Yield (FPY) – Formel

Der FPY ist der Anteil der Teile, die beim ersten Durchlauf ohne Nacharbeit gut sind.

FPY = Gutteile ohne Nacharbeit Gesamtzahl Teile × 100 %

Beispiel: 1.000 Teile gefertigt, davon 920 ohne Nacharbeit gut.

Rechnung: FPY = 920 ÷ 1.000 × 100 % = 92 %

Ausfallrate – Formel

Die Ausfallrate beschreibt, wie viele ausgelieferte Produkte innerhalb eines definierten Zeitraums defekt werden.

Ausfallrate = Anzahl Ausfälle Gesamtzahl ausgelieferte Produkte × 100 %

Beispiel: 10.000 Geräte ausgeliefert, 150 defekt zurückgemeldet.

Rechnung: Ausfallrate = 150 ÷ 10.000 × 100 % = 1,5 %

Fehlerquellenstatistik – Pareto-Ansatz

Die Fehlerquellenstatistik untersucht, welche Ursachen die meisten Fehler erzeugen (typisch: 80/20-Regel).

80% Anteil Fehler  aus  20% Ursachen

Beispiel: Von 500 Fehlern stammen 400 aus nur 2 Prozessschritten.

Analyse: Maßnahmen zuerst auf diese 2 Schritte fokussieren – größter Effekt mit geringstem Aufwand.

Standard-Qualitätskennzahlen auf einen Blick

KennzahlFormelAussageEinsatz
FPYGutteile ÷ GesamtteileEffizienzFertigung
AusfallrateAusfälle ÷ ausgelieferte ProdukteZuverlässigkeitService
ReklamationsquoteReklamationen ÷ LieferungenKundenzufriedenheitVertrieb
AusschussquoteAusschuss ÷ ProduktionQualität der ProduktionFertigung
NacharbeitsquoteNacharbeit ÷ ProduktionProzessstabilitätFertigung
ppmFehler ÷ Gesamtteile × 1.000.000FehlerhäufigkeitAutomotive
FehlerkostenquoteFehlerkosten ÷ UmsatzWirtschaftlicher ImpactControlling
qppmfehlerhafte Lieferungen ÷ GesamtLieferantenbewertungEinkauf
OTDpünktlich ÷ GesamtaufträgeTermintreueLogistik

Wann & wie oft musst du messen?

  • Täglich / pro Schicht → FPY, Ausschussquote
  • Monatlich → Reklamationen, Lieferantenqualität
  • Quartalsweise → Ausfallrate, Kundenzufriedenheit

👉 Tipp: Eine Zahl alleine ist nur ein Selfie. Erst im Zeitverlauf siehst du den Film.


Infobox: Kennzahlen sind keine Pokémons 🎮

  • Du musst sie nicht alle sammeln.
  • Kennzahlen sind Werkzeuge, kein Selbstzweck.
  • Nur wenn du mit ihnen wirklich was verbessern kannst, haben sie Sinn.

Praxis-Tipps von mir für dich

  • Klarheit first: Definiere, was Ausschuss ist. (Kratzer = Ausschuss, oder nicht?)
  • Konstanz: Vergleich nur gleiche Zeiträume. Sonst Äpfel mit Birnen.
  • Visualisierung: Menschen lieben Bilder – baue Diagramme.
  • Ursachen > Symptome: Kennzahlen sagen was, Methoden wie 5-Why oder Ishikawa sagen warum.
  • Feiere Erfolge: Wenn deine Kennzahlen besser werden, häng sie groß auf. Motivation ist QM-Gold.

Zum Schluss: Dein Rückenwind

Lass dich nicht einschüchtern: Kennzahlen sind keine Gegner, sondern dein Werkzeug. Jeder Prozentpunkt erzählt eine Geschichte – und du bist diejenige, die entscheidet, wie es weitergeht.

Perfekt wirst du nie sein – und das musst du auch nicht. Wichtig ist, dass du dranbleibst, Fragen stellst und Zusammenhänge erkennst. Fehler sichtbar machen ist kein Makel, sondern der erste Schritt zur Verbesserung.

Am Ende bist du nicht die „Zahlenpolizei“, sondern die Übersetzerin zwischen Produktion, Management und Kunde. Und wenn du es schaffst, dass in deinem Unternehmen Zahlen nicht mehr als Pflicht, sondern als Orientierung gesehen werden – dann hast du im QM schon gewonnen. 🚀

FAQ: Qualitätskennzahlen berechnen & analysieren

Was sind Qualitätskennzahlen im QM?

Messgrößen wie FPY, Ausschussquote, ppm, Reklamations- und Ausfallrate. Sie zeigen objektiv, ob Prozesse und Produkte Anforderungen erfüllen.

Wie berechne ich den First Pass Yield (FPY)?

FPY = (Gutteile ohne Nacharbeit ÷ Gesamtzahl Teile) × 100 %. Beispiel: 920/1000 = 92 %.

ppm: Was bedeutet das und wie rechne ich es?

ppm standardisiert Fehler auf 1.000.000 Teile: ppm = (Fehler ÷ Gesamtteile) × 1.000.000. Beispiel: 12/150.000 = 80 ppm.

Wie oft sollte ich Kennzahlen erheben?

Prozessnah (täglich/schichtweise) für Produktion; monatlich für Reklamationen/Lieferanten; quartalsweise für Ausfallraten. Trends > Einzelwerte.

Gibt es „gute“ Grenzwerte?

Kontextabhängig (Branche, Kunde, Risiko). Automotive: ppm-Bereich üblich; Medizintechnik noch strenger. Ziele intern & vertraglich definieren.

FPY vs. Yield – was ist der Unterschied?

FPY misst den Erstdurchlauf ohne Nacharbeit. Yield (z. B. Rolled Throughput Yield) betrachtet die Gesamtausbeute über mehrere Prozessschritte.

Wie senke ich Ausschuss und Nacharbeit?

Pareto-Analyse, 5-Why/Ishikawa, Prozessfähigkeit (Cp/Cpk) verbessern, Standardarbeit/Schulung, Lieferantenqualität (qppm) stabilisieren.

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